Vor einem Jahr haben die „Allensteiner Nachrichten” (AN 10/2014, S. 3–4) und lokale polnische Medien (u. a. die „Gazeta Wyborcza. Olsztyn”, 4.10.2014, S. 1) vom Besuch der Nachfahren Karl Roenschs berichtet. Dieter Roensch – sein Enkel und Sohn von Ing. Rudolf Roensch – besichtigte Allenstein zusammen mit seiner Ehefrau und den zwei Söhnen. Am Abend begegneten sie im Haus Kopernikus mehreren Einwohnern Allensteins, darunter Mitgliedern der AGDM, am nächsten Tag wurden sie von Oberbürgermeister Dr. Piotr Grzymowicz im Rathaus empfangen. In der Karl-Roensch-Straße (ul. Lubelska) konnten sie die Villa des Namensgebers von außen her betrachten und durch einige nahe gelegene Räume der Firma Kolster bummeln. Anschließend erschienen sie aber voller Neugier in der Friedhofskommunalverwaltung, wo man den Grabstein ihres Familienglieds aufbewahrt
Bei Gesprächen zwischen der Familie Roensch und den Beamten gab es verschiedene Ideen für die Zukunft des Steins. Sollte ihn die Familie an den Bodensee mitnehmen und hier eine Kopie zurücklassen oder umgekehrt? Sollte man den Grabstein weiter in einem kleinen Lager aufbewahren oder ausstellen? Er lag doch viele Jahre lang unter Schrott und Schutt auf dem Gelände des heutigen Zentralparks. Dank Bemühungen der Mitarbeiter der Friedhofskommunalverwaltung, insbesondere Zbigniew Kots, und der Unterstützung von Mitarbeitern des Büros des Stadtkonservators stimmte die Woiwodschaftsdenkmalpflege zu, den Stein am Morgen des 24. August in das neu errichtete Lapidarium (d.h. in eine Sammlung von Steinwerken) auf dem Jakobifriedhof zu überführen. Dieser liegt nämlich dem evangelischen, später dem Erdboden gleichgemachten Friedhof hinter dem Haus Kopernikus am nächsten, wo die Urne mit der Asche von Karl Roensch beigesetzt wurde.

Fot. Der Grabstein wird von Bauarbeitern aufgestellt (Zbigniew Kot).
Der Grabstein aus grauem Granit ist ca. 93×64 groß und stand vermutlich allein auf einem Sockel. Darauf ist zu lesen: „OffenbG. 14,13 | Karl Roensch | geb. 19.4.1859 | gest. 16.6.1921“. Die Inschrift verweist also auf folgende Stelle in der Luther-Bibel von 1912: „Und ich hörte eine Stimme vom Himmel zu mir sagen: Schreibe: Selig sind die Toten, die in dem HERRN sterben von nun an. Ja, der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit; denn ihre Werke folgen ihnen nach.” (Nach dem Gutachten von A. Rzempołuch vom 27. Januar 2003).
Als eine Ergänzung des Artikels vom Oktober letzten Jahres ist hinzuzufügen, dass Karl Roensch als Sohn Bernhards zur Welt kam. Wegen des frühen Todes seines Vaters musste er seine Lehre abbrechen und sich dem Kaufmannsberuf widmen. Die Allensteiner Fabrik gründete er 1885 gemeinsam mit einem Geschäftspartner. Sie wurde am 21. Januar 1886 feierlich eröffnet. Zehn Jahre später wurde Roensch zum alleinigen Betriebseigentümer, obwohl der Name „Karl Roensch & Co.“ weiter auf den Teilhaber hindeutete. Die Firma spezialisierte sich auf die Herstellung von Dampfkesseln. Karl Roensch heiratete die in Teltow bei Berlin geborene, drei Jahre jüngere Frieda Hessling, die bei der Eroberung von Danzig durch die Sowjets ihr Leben verlor. Am 16.12.1907 wurde ihm der Rote Adlerorden 4. Klasse als Anerkennung für den Bau des Elektrizitätswerks und der Elektrischen Straßenbahn verliehen. (vgl. das Gutachten).

Fot. Karl Roensch (H. Bonk, Geschichte der Stadt Allenstein, 1903, Teil II).
Darüber hinaus konnte er als vorbildlicher preußischer Untertan gelten, der preußische Tugenden verinnerlichte und sie in die Tat umsetzte. Als ihm die städtische Ehrenbürgerschaft am Neujahrstag 1915 verliehen wurde, hieß es im Nachruf des Magistrats und der Stadtverordneten u. a.: „Er war das Muster eines Bürgers, der unbekümmert um die Meinung des Tages und ohne Rücksicht nach unten und oben in dem selbstlosen Dienste für seine Stadt das Glück seines Lebens suchte und fand.“ (vgl. E. Vogelsang, Aus der Geschichte der Stadt Allenstein in „Allensteiner Heimatbrief“ Nr. 235(2003), S. 19).
Kurz nachdem der Grabstein entdeckt worden war, schlug der angesehene Kunsthistoriker Andrzej Rzempołuch u. a. vor, den Grabstein als Denkmal im Rathausgebäude aufzustellen. Eine andere Entscheidung wurde getroffen, doch es gibt immer noch weitere Möglichkeiten, diesen Ehrenbürger zu würdigen. Er befindet sich zwar auf der Liste derjenigen Persönlichkeiten, die laut der Polnischen Gesellschaft für Geschichte würdig sind, mit einem Straßennamen geehrt zu werden, aber man sollte keine falsche Hoffnung wecken, dass der alte Name wiederhergestellt wird. Wenn überhaupt, dann wird er eine neue, winzige und abgelegene Straße schmücken. Trotz des besten Willens der Kommunalbehörde und einiger Stadtliebhaber zeigen Alltagsgespräche, dass viele Einwohner immer noch an den Mythos der „wiedergewonnenen Gebiete“ und die Lüge, unsere Vorfahren lebten hier ausschließlich in den Jahren 1939–1945 und dazu noch als Besatzer, glauben. Daher bemüht man sich darum, alles, was nach Deutschtum und Preußen riecht, zu beseitigen. Es ist jedoch hervorzuheben, dass eine solche Haltung sogar in Warschau schon längst für überholt gilt und dass man nun auf die für Allenstein und seine polnische Kultur verdienten Deutschen stolz sein darf.
Vielleicht könnte man also eine deutsch-polnische, durchsichtige Tafel an seine ehemalige Villa oder bestenfalls am Eingangsportal des Rathauses anbringen? Haben Sie mal darüber nachgedacht, wo der Stadtrat gegenwärtig tagen würde, wenn doch Karl Roensch den Beschluss der städtischen Körperschaften, ein neues Rathaus zu bauen, nicht initiiert hätte?

Fot. Dieter Roensch vor der Allensteiner Villa seines verdienten Großvaters im Oktober 2014 (AB).
Dr. Alexander Bauknecht
Alexander Bauknecht, Der Grabstein des Ehrenbürgers Roensch, Allensteiner Nachrichten 9.2015, ss. 1, 3

